Kann sie für sich behalten... |
Mein zeitlich betrachtet vorübergehender Nachbar ist 68, er verkauft Weihnachtsbäume und liest Romane. Zum Beispiel: "Das Geheimnis der Hebamme" von Sabine Ebert. Dieses Buch mit 667 Seiten hat er mir gestern in die Hand gedrückt. Er fragte: "Schaffen Sie das bis nächste Woche Samstag?" Dann fährt er wieder nach Hause.
"König Lear" heißt ein Meisterwerk von William Shakespeare. Diese Tragödie endet mit den Worten "Er starb." Ein Genie muss irgendwann nicht mehr viele Worte verlieren, zumal sie für den Leser kein Gewinn mehr wären. Sabine Ebert dagegen hat sich eigenem Bekunden zufolge darüber gewundert, dass ihre Hebammen-Geschichte immer länger geworden ist. Schließlich sei sie "von Haus aus Journalistin". Wäre sie von Haus aus Shakespeare gewesen, wäre König Lear nicht einfach so gestorben, er hätte sich sicherlich vorher noch an die Brust gefasst, er hätte geröchelt und wäre zusammengebrochen.
Sabine Eberts Roman nahm ich heute zur Hand und legte ihn sehr schnell wieder aus derselben. Die Geschichte beginnt "1167 in Franken". Der erste Satz lautet: "´Mach schon, prügle sie, bis sie Gehorsam gelernt hat´, forderte Ludolf wutschnaubend seinen älteren Begleiter auf."
Da lobe ich mir Ernest Hemingway. Der hat Dialoge geschrieben, die für sich sprachen. Zum Beispiel diesen: "´You are brave´, he said. ´I´m not brave´, she said." ("Schnee am Kilimandscharo") Saul Bellow, ebenfalls Literaturnobelpreisträger, hat stets alles für schlechte Literatur gehalten, was bei Dialogen damit nicht auskommt.
Damit ich mit dem zeitlich betrachtet vorübergehenden Weihnachtsbaumverkäufer bis Heiligabend gut auskomme, habe ich ihm meine Broschüre "Zerstreutes Wohnen-Ratgeber für alle ab 70" in die Hand gedrückt. Er legte sie nicht aus derselben, bis er alle meine Tipps gelesen hatte...
"Das ist witzig", sagte er. Weder wutschnaubend noch sonst was.
Der Klick zu dieser Broschüre
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