Aus einem öffentlichen Bücherschrank gefischt. |
Ich habe da mal eine Geschäftsidee: Ich gründe einen Verlag. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten nicht nur kostenlos für mich, sie finanzieren auch noch mein Gehalt. Dafür versichere ich ihnen, dass sie bei mir gut aufgehoben sind, viel besser als anderswo.
In den Schriften, die ich drucke, warne ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor einem Arbeitsplatzwechsel. Meine Broschüren tragen Titel wie "Verlagssterben-Warum nur unser Verlag überlebt", "Was lehrt uns die Konzentration im Verlagswesen?" und "Ewig treu-Das große Glück, Mitarbeiter unseres Verlages zu sein". Jedes Jahr veröffentliche ich eine Statistik über die Arbeitsstunden, die meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für mich geleistet haben. Ich halte auch statistisch fest, wie viele neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeworben worden sind.
Sie meinen: Mein Verlag würde kein halbes Jahr überstehen? Und wenn ich behaupte, dass es Gottes Wille ist, was ich mache? Wie sieht es dann aus? Sehen Sie, dann steigen meine Chancen!
Warum ich diesen Verlag nicht gründe? Die Antwort ist einfach: Diesen Verlag gibt es schon. Er hat seinen Hauptsitz in den USA und nennt sich "Watchtower Bible and Tract Society". Zu deutsch: Wachtturmgesellschaft. Die bekanntesten Verlagszeitschriften sind "Wachtturm" und "Erwachet!" Das Verlagsmotto lautet "Wer seine Erkenntnis auf nützliche Weise in die Tat umsetzt, zeigt, dass er Weisheit besitzt." Diese Weisen werden von der Wachtturmgesellschaft seit gut 80 Jahren "Zeugen Jehovas" genannt. Die arbeiten kostenlos für den Verlag und spenden ihm auch noch Geld.
Doch der Eifer scheint nachzulassen. Einige Verlagsmitarbeiterinnen und Verlagsmitarbeiter beschreiten bei der Werbung inzwischen bequemere Wege. Sie stellen die Schriften ihres Verlages in öffentliche Bücherschränke. In Wettmar zum Beispiel. Oder in Burgdorf.
Ich nehme sie mit, denn erst, wenn niemand mehr liest, was die Wachtturmgesellschaft veröffentlicht, hat mein Verlag eine Chance.
So was darf mir dann allerdings nicht passieren: Eine Zeugin Jehovas aus Süddeutschland geht zu ihrem Chef und stellt ihm kritische Fragen. Er antwortet: "Du hast mit dem Tjaden gesprochen." Das macht sie stutzig, sie merkt sich meinen Namen und ruft mich an. Nach diesem Anruf legt sie ihre Arbeit für die Wachtturmgesellschaft nieder. Dumm gelaufen, weil dieser Chef seine "Erkenntnis" besser für sich behalten hätte...
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