Die Möwe
Sie war eine alte Möwe,
viel zu alt, um hinter den jungen Fischen, die fröhlich durch das
Wasser schießen, her zu jagen. Für sie blieben nur die alten Fische,
die so müde waren wie sie. Die Möwe war alt, aber sie hatte die
Welt gesehen und viel erlebt. Sie mochte die Möwen nicht, die sich
von Touristikdampfern aus füttern ließen.
Brotbrocken fliegen in den
Himmel, ein leichte Beute, ein waghalsiger Sturz bis fast zur
Wasseroberfläche als Zugabe, damit die Hände der Touristen nach
weiteren Brotbrocken greifen. Sie hatte sich nie verkauft. Ihr
Gefieder glänzte nicht mehr, war aber immer noch schön, weil sie
frei war, frei von brotbrockenschleudernden Touristenarmen.
Die alte Möwe landete im
weißen Sand, ganz dicht bei einem Liebespaar, sie wollte nicht
lauschen, aber das schwarzhaarige Mädchen sprach von ihren Träumen,
deshalb flog sie nicht davon.
Das Mädchen sagte: „Ich
möchte leben.“
Auszug aus "Von klugen Tauben und dummen Falken-Kurze Geschichten über Tiere und Mörder", Juli 2018
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen